Mehr bürgerschaftliche Erinnerung:
Üben für Kranzabwurfstellen
Anlässlich des Gedenktages für die
NS-Opfer fordern Erinnerungsexperten in Berlin neue Formen für
Gedenktage und -stätten: für weniger staatlich verordnete und mehr
bürgerschaftliche Erinnerung
Von Rolf Lautenschläger
Es ist nicht allein der Anblick der "Topographie des
Terrors", jener ewigen Baustelle im Wartestand, die am Dienstagabend die
Besucher des benachbarten Gropius-Baus auf dem späten Heimweg etwas
frösteln ließ. Ebenso kalt ist das Klima derzeit in der Stadt auch für
andere Gedenkstättenpläne: für das Mahnmal für die von den Nazis
ermordeten Sinti und Roma, jene für die Zwangsarbeiter, die Deserteure
oder örtliche Opfergruppen.
Berlin, Mitte der 80er-Jahre "Avantgarde" beim Thema
Erinnerung und Erinnerungskultur, fehle heute sowohl ein nationales
Gedenkstättenkonzept als auch die Perspektive zum Ausbau seiner
Erinnerungslandschaft, sagte ein Teilnehmer auf der Podiumsdiskussion
"Die Zukunft der Gedenkstätten" im Gropius-Bau anlässlich des Jahrestags
zur Befreiung von Auschwitz. Wird nach der Entscheidung des Bundestags
für den Bau des Holocaust-Mahnmals und seit Eröffnung des Jüdischen
Museums "Abschied von der Erinnerung" genommen?
Nach Ansicht von PDS-Kultursenator Thomas Flierl mangelt es
zum einen am nötigen Geld für den Ausbau von wichtigen "Projekten der
Erinnerung", wie etwa der Dokumentation des Zwangsarbeiterlagers. Zum
anderen hätten die staatlich verordneten Gedenkorte - wie etwa die Neue
Wache samt den preußischen Generälen und das Holocaust-Mahnmal - den
Diskus um Geschichte, Geschichtspolitik und neue Formen der Erinnerung
in Berlin abgeschnitten. Flierl: "Es fehlt nicht nur ein Gesamtkonzept
des Gedenkens im öffentlichen Raum. Es fehlen Opfergruppen und die
Beschäftigung mit der 'geteilten Erinnerung' ", die immer mehr "Thema"
werden müsse.
Warum der Kultursenator, der sich sonst kräftig um ein
Rosa-Luxemburg-Denkmal müht, genau dafür nicht mehr tut, wollte er nicht
beantworten. Mahnte doch Reinhard Rürup, wissenschaftlicher Direktor der
"Topographie des Terrors", genau den Rückzug der Politik aus der
geschichtlichen Verantwortung an.
Trotz der rund 250.000 Besucher jährlich, so Rürup, müsse
die "Topographie" die NS-Dokumente weiter in einem Provisorium
ausstellen. Es sei "ein Skandal", dass die Bauverwaltung von Senator
Strieder (SPD) weder die Kosten noch die bautechnischen Probleme der 38
Millionen Euro teuren Zumthor-Planung in den Griff bekomme. Berlin, so
Rürup weiter, benötige eine "Gedenkstättenpolitik" und müsse sein
Interesse für die Dokumentaton "der Verbrechen" artikulieren. Die
"Topographie" sei "zwingend nötig" - auch angesichts des "Aussterbens
der Täter- und Opfergeneration".
Wie den Gedenkstau überwinden? Etwa so, wie CDU-Chef
Christoph Stölzl meinte, der die staatlichen Gedenktage als "Übung und
Zeichen für die Gesellschaft" weiter für nötig erachtete? Oder braucht
die Stadt gerade die Abkehr vom offiziellen Gedenken (Flierl), einer
veranstalteten Geschichtspolitik und die Hinwendung zu
"bürgerschaftlichem Engagement und differenzierter
Geschichtsbetrachtung"? Günter Morsch, Direktor der Brandenburgischen
Gedenkstätten, sah dies als Ausweg. Nach dem zentralen
Holocaust-Monument müsse der "offene Diskurs neu beginnen" - mit dem
"Gedenken vor Ort".
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