Hans Goslar:
Ein jüdisches Politikerschicksal der Weimarer Zeit
Bericht von Heide Kramer, März 2003
Am
4. November 1889 wurde Hans Goslar in Hannover geboren.Das zeitgemäße
hannoversche Melderegister belegt, dass sein Vater, der Kaufmann Gustav
Goslar, seit 1870 in Hannover ansässig war. Gustav Goslar wurde vor seiner
Eheschließung unter 11 nachvollziehbaren Adressen beim Einwohnermeldeamt in
Hannover registriert.
Auf dem zweitältesten hannoverschen jüdischen
Friedhof ("An der Strangriede") existieren zwei gut erhaltene
Familiengräber. Es handelt sich um die Grabstätte des 1878 in Hannover
gestorbenen Jakob Blumenfeld, dem Großvater Hans Goslars. Zum anderen gibt
es das ebenfalls gut erhaltene Kindergrab der im Jahre 1871 einjährig
gestorbenen Elsa Blumenfeld, der Tante des Hans Goslar.
Bevor die Eltern 1894 mit ihm nach Berlin
übersiedelten, verlebte Hans Goslar seine ersten fünf Lebensjahre in
Hannover.
Ministerialrat und Pressechef im
Preußischen Innenministerium Berlin, 1919 - 1932
In Berlin vollzogen sich der intellektuelle
Werdegang und das jüdisch-orthodoxe-kulturelle Leben Hans Goslars. So
betätigte er sich vor dem Ersten Weltkrieg in der zionistischen
Jugendbewegung.
Mit der (Weimarer) Koalition der ersten
deutschen Republik gelangte der Nationalökonom und Wirtschaftspublizist Hans
Goslar 1919 in das Preußische Innenministerium. Dort entwickelte er als
"preußischer Pressechef" und höchster publizistischer Beamter die
Pressestelle, wobei sich für das kommende Jahrzehnt seine Befähigung für den
Pressedienst erweisen sollte. Der Name Hans Goslar stand im politischen
Berliner Journalismus der Weimarer Zeit als konstanter Begriff.
Am 3. April 1926 heiratete Hans Goslar in
Berlin die am 23. Oktober 1901 in Bonn geborene Lehrerin Ruth Judith Klee.
Am 12. November 1928 wurde die Tochter Hannah Elisabeth geboren.
Hans Goslar mit seiner dreijährigen Tochter Hanneli
im Tiergarten Berlin, Juli 1932
Ab 1932 machten sich für den im Jahre 1927
zum Ministerialrat beförderten Hans Goslar die politischen Entwicklungen mit
den daraus resultierenden Repressalien für den jüdischen Beamten und
Sozialdemokraten zunehmend bemerkbar. Anfang 1932 war seine Karriere durch
"Beurlaubung" abrupt zu Ende.
1933 emigrierte Hans Goslar mit seiner
Familie in die Niederlande/Amsterdam. Im Dezember 1933 registrierte er sich
bei den Amsterdamer Behörden als "Wirtschafts- und Finanzberater". Goslar
eröffnete mit dem ebenfalls aus Berlin geflohenen Rechtsanwalt Franz
Ledermann ein Beratungsbüro "zur Rettung von Juden aus Deutschland". Bis zum
Einmarsch der Deutschen Wehrmacht am 10. Mai 1940 blieben die Familien
unbehelligt.
Am 25. Oktober 1940 kam in Amsterdam die
zweite Tochter Rachel Gabriele zur Welt. Am 27. Oktober 1942 starb Goslars
Ehefrau Ruth während der Geburt des dritten Kindes, das nicht am Leben
blieb.
Hans Goslar, die in der Nachbarschaft
lebenden Großeltern Klee und die Töchter Hannah und Rachel Gabriele erlagen
am 20. Juni 1943 einer Großrazzia der Deutschen. Die zuvor durch die Hilfe
von Schweizer Verwandten erkaufte südamerikanische Staatsbürgerschaft war
nur für Staatenlose möglich. Daher fühlte sich auch die Familie Goslar lange
mit den "Paraguay-Pässen" relativ sicher. Doch dieses "Privileg" blieb bei
den Nationalsozialisten wenig später gnadenlos unberücksichtigt.
Die Menschen gerieten zunächst
in das Durchgangslager Westerbork, wo im November 1943 sein Schwiegervater
Alfred Klee an einem Herzanfall starb. Am 15. Februar 1944 wurde Hans Goslar
mit seinen Töchtern und der Schwiegermutter Therese Klee in das deutsche
Konzentrationslager Bergen-Belsen deportiert. Hier starb Hans Goslar am 25.
Februar 1945 an den Hunger- und Krankheitsfolgen der KZ-Haft. Therese Klee
folgte ihm am 25. März 1945. Hans Goslar hinterließ die sechzehnjährige
Hannah und die vierjährige Rachel Gabriele. Seine Töchter hatten als einzige
der Familie überlebt.
Völlig auf sich gestellt verließen Hannah und
Rachel Gabriele Goslar Anfang April 1945 das Konzentrationslager
Bergen-Belsen auf Veranlassung der Nationalsozialisten mit Tausenden anderer
Häftlinge in Viehwaggons. Ziel: Theresienstadt. Dieser Zug ist in die
Geschichtsschreibung als "Der Zug der Verlorenen" eingegangen. Die
unglücklichen Menschen des "Verlorenen Zuges" erlebten schließlich nach
zehntägiger Odyssee bei Tröbitz in Brandenburg die Befreiung durch die Rote
Armee. Darunter auch Hans Goslars Töchter Hannah und Rachel Gabriele.
Die Mädchen gelangten nach der Befreiung
durch die Hilfe von Anne Franks Vater Otto (ihn befreite in Auschwitz am 27.
Januar 1945 die Rote Armee) zu Verwandten in die Schweiz. 1947 emigrierte
Hannah nach Palästina. Ihre kranke Schwester Rachel verblieb zunächst in der
Schweiz. Erst 1949 folgte sie ihrer Schwester nach Israel.
Frau Hannah Pick-Goslar lebt heute in
Jerusalem, ihre Schwester Rachel Mozes in Petach Tikva, nahe Jerusalem.
Hannah Pick (4. von rechts) mit ihrer Familie im Januar 2008
Einige Publikationen von Hans Goslar:
"Die Krisis der jüdischen Jugend Deutschlands" (1911);
"Die Sexualethik der jüdischen Wiedergeburt" (1919);
"Jüdische Weltherrschaft, Phantasiegebilde oder Wirklichkeit?" (1924);
"Amerika 1922 (Eindrücke einer Studienreise)";
"Politik und Parlament" (1929)
Fotos: Mit freundlicher
Genehmigung von ©
Frau Hannah Pick, Jerusalem/Israel, August 2007 und Januar 2008.
(Quellenangaben: ©©Archiv der sozialen
Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn; Hans-Bredow-Stiftung,
Hamburg).
Textbeitrag: ©Heide Kramer, Hannover,
März 2003
Dienstag, 9. Juni 2015, Paul-Löbe-Allee nahe Große Querallee auf dem Gelände
des Bundeskanzleramts um 11.00 Uhr
Im Gedenkjahr 2015, 70 Jahre nach der Befreiung, ist mit einem gezielten
Projekt der Familie Goslar gedacht worden. Am letzten und heute nicht mehr
existenten Berliner Wohnort der Familie, “In den Zelten” in
Berlin-Tiergarten, wurden durch den Künstler Gunter Demnig zwei
Stolpersteine für Ruth-Judith und Hans Goslar verlegt. Als Ehrengäste waren
die Familienangehörigen von Ruth-Judith und Hans Goslar die zweite Tochter
Rachel Moses, Enkelin Ruth Meir und Urenkelin Tal Meir anwesend.
Patrick Siegele, Direktor des Anne-Frank-Zentrums Berlin, hielt die
Laudatio. Peter Altmaier, Chef des Bundeskanzleramtes und Bundesminister für
besondere Aufgaben sowie Monique van Daalen, Botschafterin des Königreichs
der Niederlande, hielten die Grußworte. Ansprache und Gespräche erfolgten
durch Rachel Moses, Ruth und Tal Meir, künstlerische Beiträge durch Rachel
Moses und Berliner Jugendliche.
Foto-/Textbeitrag: ©Heide Kramer, Hannover.
Aktualisiert: Juni 2015.
9. Juni 2015: Ansprachen Rachel Moses, Tochter
von Hans und Ruth-Judith Goslar (links) und Ruth Meir, Enkelin von Hans und
Ruth-Judith Goslar.
9. Juni 2015: Der Künstler Gunter Demnig bei
den Vorbereitungen zur Stolpersteinverlegung.
9. Juni 2015: Ruth Meir (rechts) und ihre
Tochter Tal Meir an der Grabstätte Gustav und Ida Goslar (Eltern von Hans
Goslar)auf dem jüdischen Friedhof in Berlin. Weissensee.
hagalil.com
10-03-08
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