
Forget Bagdad:
Willkommensgruß aus der DDT-Kanone
In "Forget Baghdad"
dokumentiert der Filmemacher Samir die Geschichte der Migration von
jüdischen Irakern
Von Manfred Hermes
Als Israel im Jahr 1948 gegründet wurde,
da schnellten auch in anderen Teilen der Welt neue Grenzen hoch. Bis
dahin galt Bagdad - das kann man sich heute kaum mehr vorstellen - als
Modell eines multikulturellen Lebens, doch nun wurde es für die Juden
eng. "Forget Baghdad" zeigt Aspekte dieser Geschichte sozusagen von der
östlichen Seite aus. Der Dokumentarist Samir, als Nachfahre jüdischer
Iraker nun in der Schweiz lebend, konnte sich dazu der Hilfe vier
älterer Herren versichern, die einiges gemeinsam haben: Sie haben ihr
Leben als schreibende Intellektuelle verbracht, haben an das Bagdad
ihrer Kindheit und Jugend nur angenehme Erinnerungen - und waren als
Kommunisten des Zionismus gänzlich unverdächtig.
Dennoch war auch ihr Leben von Prozessen
bestimmt, die ihren Wünschen und politischen Ansichten zuwiderliefen:
Als 1950 eine Serie von Bombenattentaten jüdische Einrichungen in Bagdad
zerstörte, war die Botschaft klar, die Absender waren es allerdings weit
weniger. Auch Juden vertraten die Ansicht, hier habe womöglich der
Mossad ein zwangsethnisierendes Spiel gespielt. Die Rechnung ging
jedenfalls auf, von den einst rund 140.000 jüdischen Irakern wanderten
fast neunzig Prozent aus.
In den Köpfen von Moshe Houri oder dem
Schriftsteller Samir Naqqash gab es zu Israel aber eine Reihe von
Alternativen. Wäre es nach ihnen gegangen, hätten sie sich nach
Frankreich oder in den Iran aufgemacht. Aber drastische
Immigrationsblockaden behinderten die Selbstbestimmung. Auch der Empfang
in Israel verlief alles andere als herzlich. Eine Salve aus der
DDT-Kanone war der erste Gruß. An der reservierten Haltung sollte sich
auch in den Folgejahren nicht viel ändern. Der neue Staat war von den
europäischen Werten der aschkenasischen Juden geprägt. Die arabisch
sprechenden Mizrahim mit ihrer orientalischen Sexualmoral und Esskultur
trafen auf ähnlich rassistische Vorbehalte wie der muslimische Teil der
Bevölkerung.
Ella Habiba Shobat, Tochter irakischer
Einwanderer, die heute Women's Studies an der NYU lehrt, wuchs mit den
Effekten dieser Diskriminierung auf. Sie erinnert sich, wie gerade das
Banale blitzschnell zum Unterscheidungsmerkmal werden konnte: Während
die anderen in der Schule ihre Nutellabrote auspackten, schämte sie sich
für ihre köstliche und nahrhafte Pausenkost in den Boden.
Bis in die 80er-Jahre war diese rassistisch
geprägte Ungleichheit aus der öffentlichen Diskussion in Israel fast
ausgeblendet. In einem bösen Hakenschlag der Geschichte konnten sich die
Mizrahim mit der Schas-Partei dann aber als einflussreiche politische
Kraft etablieren. Habiba Shobat schrieb in den 80ern hingegen ein
(Film-)Buch zum Thema, das in Israel nur auf Abwehr stieß und dadurch
ihren Entschluss bestärkte, das Land zu verlassen. Nun lebt sie in einer
New Yorker Nachbarschaft, in der sich arabische und jüdische Bewohner
konfliktfrei mischen. Diaspora heißt das Modell, das für diesen manchmal
auch visuell verquasselten Film als einziger Ausweg dasteht
"Forget Baghdad". Regie: Samir. Schweiz/Deutschland
2002, 110 Min.
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