
Israelisches auf der
Berlinale:
Selbstbetrug und Isolation
Israels Kino leidet unter
einem Mangel an guten Storys. Politische Töne kommen eher aus den
hinteren Reihen. Ein Überblick über israelische Filme auf der Berlinale
Von Manfred Hermes
Als schneebedecktes Berggelände stellt man
sich Israel normalerweise nicht vor. Auch die Gruppe junger, gut
aussehender Camouflageträger beiderlei Geschlechts, die in einem mobilen
Lager abhängt, ist nicht an Extremsportarten interessiert. Es werden
vielmehr die Landesgrenzen zum Libanon verteidigt. In "Yossi & Jagger"
von Eytan Fox kommt es zu einer weiteren Irritation. Zwei Männer gehen
eine doppelt verbotene Bindung ein. Homosexuelle Geschlechtsakte in der
Armee, noch dazu zwischen Mitgliedern verschiedener Ränge, das ist ein
Problem, das nur durch Quittieren des Dienstes zu lösen ist. Jagger
fordert Yossi dazu auf, aber die Aussicht auf Bürgerlichkeit und
Veränderung wird durch die Umstände torpediert. Jagger setzt sich
während einer Militäraktion auf eine Mine und stirbt. Der in Israel
erfolgreiche Film mag sexuelle Liberalisierungen militärischer Ordnungen
einfordern, nachhaltiger scheint die Homosexualität, wie einst "Mein
wunderbarer Waschsalon", als Metapher für Israels soziale Modernität in
einer durchmilitarisierten Gesellschaft à la "Starship Troopers" zu
wirken.
In "Broken Wings" gerät nach dem Tod des
Vaters der Rest der Familie in die Sinnkrise. Vier Kinder steigern sich
in unterschiedliche Formen neurotischen Verhaltens hinein, was das Leben
ihrer Mutter, einer emotional unterforderten Hebamme, nicht einfacher
macht. Nir Bergmans Debütfilm macht keine Versprechen, löst das Knäuel
seiner Spannungen und Trostlosigkeiten aber in Wohlgefallen auf. Dennoch
wirkt sein Film eigenartig eingekapselt, "schwierig" und abweisend. Wäre
der Vater noch da, wäre in jedem Fall alles besser.
Im Gegensatz zur ominösen Traumatisiertheit
dieser Filme meldet der "Israel Film Fund" eher Beschwingendes:
"Rekordergebnis für Israel". Auch auf dem Panel "Israeli Film Now" war
Optimismus gefragt - trotz einer seit Jahren dramatisch
zurechtgestutzten Filmförderung. Lia van Leer, die Gründerin der
Jerusalemer Kinemathek, gab Parolen aus, wie sie auch hierzulande für
Stimmung sorgen: Wenn du deinen Film machen willst, just do it!
Allerdings waren ihr die jüngeren Produktionen ihres Landes dann doch zu
traurig. Auch sonst teilt Israel die Probleme aller kleinen
Filmnationen. Nach der Autorenfilmphase wurde auf Professionalisierung
und handwerkliche Spezialisierung gesetzt, aber bis heute ein Mangel an
Drehbüchern, guten Storys, Zuschaueransprache und Emotion beklagt. Die
marginalisierte Stellung des palästinensischen Teils der Bevölkerung
zeigt sich dabei auch in Zahlen. Von neunzig Studenten an der
Sam-Spiegel-Filmhochschule sind drei Palästinenser, und dieses
Verhältnis trägt sich bis in die Filmproduktion weiter.
Die politischen Töne kamen eher aus den
hinteren Rängen. Asher de Bentolila Tlalim, der Regisseur der
Dokumenatarfilms "Galoot", stellte sich gegen den Zweckoptimismus des
Panels und konstatierte gewisse Tendenzen zu Selbstbetrug und Isolation.
Sein Konzept, den Blick auf die Probleme von außen aufzufrischen, wurde
nicht von allen geteilt. Nir Bergman erwiderte, Israel sei wie eine
Familie, hier würden die Geschichten zusammenkommen, die sich einer
jüngeren Generation anbieten.
Angesichts solcher Argumente ist es nicht
erstaunlich, dass vor allem die dokumentarischen Arbeiten sich dem
israelisch-palästinensischen Problem stellen. Tlalins "Galoot" und
"Local Angel" von Udi Aloni beziehen ihre Sicht aus einer
Diaspora-Distanz zu Israel. Tlalin lebt in England und Udi Aloni als
bildender Künstler in New York, obwohl sich beide als Israelis
definieren.
Dennoch versteht sich "Local Angel" als
Versuch der Dekonstruktion verhärteter israelischer Identitätsbestände
und ethnizistischer Logiken. Auf denkbar verschiedenen Plattformen
schiebt sich diese Filmarbeit vorwärts. 11. September, die Sprache als
Heimat, Walter Benjamins Rezeption von Paul Klees Angelus Novus, ein
Brief von Gershom Scholem an Franz Rosenzweig, in dem er 1928 die
Befürchtung äußert, dass die Entscheidung für das bis dahin nur als
sakrale Schriftsprache existierende Hebräisch als Staatssprache die
Gespenster des religiösen Fundamentalismus auch noch in das säkularste
Denken schieben würde.
Alonis Essay setzt Musik, Kommentar, Interview
und Bild zu einem fragmentierten Teppich zusammen. Alonis eigene Mutter,
eine Bürgerrechtlerin, ist mit Hanan Ashrawi, Arafats Sprecherin,
befreundet. Aloni stellt der apokalyptischen israelischen Situation aber
vor allem eine entschieden kulturelle Perspektive entgegen: die
Remetaphorisierung von Metaphern wie "Wiederaufbau des Tempels", die im
politischen Kampf längst zu ein realen Forderungen wurden. Und auch
israelisch-palästinensische Rapper können in diesem Zusammenhang zu
Ansätzen werden, die Walter Benjamins bitterer Geschichtsphilosophie
etwas positivere Aussichten entgegenstellen.
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