Berlinale
2004:
Avanim (Stones - Steine)
Von Gudrun Wilhelmy
Etwas zu lieben, ist sicherlich ein
besonders guter Ansatz für einen Film. Und Raphael Nadjari gibt in seinem
Film Avanim Einblicke in das traditionelle sefardisch jüdische Leben in Tel
Aviv, wie es nirgends mehr sonst in der Welt existiert.
Die Kamera (Laurent Brunet) läßt Michale
nicht mehr aus den Augen. Die verheiratete Frau mit einem Kind nutzt die
Morgenstunden, um sich mit ihrem Liebhaber in einem Hotel zu treffen. Als er
eines Tage bei einem "Selbstmordattentat" sein Leben verliert während er auf
sie wartet, entgleitet Michale die Kontrolle über ihren durchorganisierte
Alltag zwischen der Arbeit in der Firma ihres Vater, den Pflichten als
Mutter, Ehefrau und Tochter und dem heimlichen Leben.

Asi Levi spielt Michale als eine Frau von
wenig Worten, die mit niemandem über ihre Probleme spricht. Aus dem
traditionellen Milieu stammend, ist sie dennoch nicht bereit, alle
Traditionen mitzumachen. Zwar steht sie mit den anderen Frauen gemeinsam
draußen vor der Synagoge, aber ohne Kopfbedeckung. Was der Rabbiner
akzeptiert, will der Gabbai nicht gelten lassen. Zwischen ihm und Michale
wird ein erbitterter Kampf ausgetragen.
Der gemeinsame Schabbat mit ihrem Vater,
zeigt dann wiederum Michale als Traditionalistin, die Gespräche über Arbeit
zwischen Schmoulik, ihrem Mann, und ihrem Vater unterbinden will. Sehr
dezent umspannt Nadjari hier die Breite gelebten Glaubens, mit dem nur der
engstirnige Gabbai nicht umgehen kann.

Als Michale nach einer Nacht am Strand in
Schmerz und Trauer um den Geliebten nach Hause kommt, wird sie von Ehemann
und Vater aufgebracht und in großer Sorge zu Hause erwartet. Sie verweigert
jede Auskunft über ihre Abwesenheit. Sie packt ihre Sachen und verlässt mit
dem Sohn das Haus, nachdem sie vom Vater als Hure beschimpft wird und er ihr
verbietet, ihn weiter Vater zu nennen. Hier verliert Michale, die sonst
rational reagiert, endgültig die Kontrolle über ihre Handlungen. Mit ihrem
Rachefeldzug gegen den Gabbai und ihren Vater setzt sie eine Verkettung
furchtbarer Ereignisse in Gang, die in einer Katastrophe endet. Am Ende
verlieren alle.
Mit seiner Methode, die Dialoge nicht
zwingend vorzuschreiben, sondern den Schauspielern darin viel Freiheit zu
geben, ist es dem Regisseur offensichtlich gelungen allen Agierenden einen
individuellen Charakter zu geben mit Brüchen und Schwächen, Wärme und
Stärke. Selbst beim kleinen Sohn Nathi gelingt dies. Mit dieser Methode geht
Nadjari ein Risiko ein, das er als Könner seines Faches jedoch zur
Steigerung Spannung und zur Intensivierung der Charaktere zu nutzen vermag.
Unbedingt ansehen, ein Film mit
Nachwirkung.
Buch und Regie: Raphael Nadjari
Israel, 105 min
Kamera: Laurent Brunet
Schnitt: Godefroy Fouray (der die Dichte der Handlung an Michale noch größer
macht)
Musik: Nathaniel Mechaly (nie aufdringlich und an den richtigen Stellen
eindringlich und niemals Ersatz für filmische Dramatik)
Casting: Amit Berlowitz (die richtigen Köpfe für jede Rolle)
Darsteller:
Asi Levi (Michale Shemi)
Uri Gabriel (Meir Aharon) (der Vater)
Florence Bloch (Nehama – die Kindergärtnerin)
Shaul Mizrahi (Rav Gabai)
Danny Steg (Shmoulik Shemi – der Ehemann)
Gabi Amrani-Gur (Rav Ozeri – der Rabbiner)
u.a.
Zu sehen auf der Berlinale 2004 im
Panorama-Programm noch am 12.02. um 21:30 im Zoo Palast und am 13.02. um
14:30 im CenemaxX7.
Filme zu jüdischen Themen, Israel / Nahost und
Minderheiten auf der Berlinale 2004
und Filmkritiken finden Sie während der Berlinale auf der Startseite von
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11-02-04
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