9. Jewish Filmfestival Berlin 15. - 25. Juni 2003
Being Different / Anders sein
Blessings
Regie: Paula Weiman-Kelman
Montag 23. Juni 19.00 h im Kino Arsenal / Potsdamer Platz
Das
9. jüdische Filmfestival Berlin zeigt den Film "Blessings - Roommates in
Jerusalem". Nach der Premiere in Israel erschien am 8. November 2002 der
folgende Artikel von Orly Halpern in HaAretz, den wir leicht gekürzt
wiedergeben:
Paula Weiman Kelman arbeitete 10 Jahre als
Archivarin in der Jerusalemer Cinemateque vor sie sich an eine Kamera wagte
um eigene Bilder zu schaffen statt Bilder anderer zu katalogisieren. Am
Sonntag wird neues Werk von ihr einen Platz in den Regalen des Archivs der
Cinemateque bekommen, ihr Dokumentarfilm "Blessings: Roommates in Jerusalem"
(Segenssprüche - Zimmergenossinnen in Jerusalem).
Der Film begibt sich in die Lebenswelt
zweier geistig behinderter älterer Frauen, die ein Zimmer in einer
Behinderteneinrichtung über den Zeitraum von 25 Jahren geteilt haben.
Ungeachtet ihrer Behinderung könnten diese beiden Frauen nicht
unterschiedlicher sein.
Schulamit kommt aus einer dysfunktionalen
Familie armer irakischer Einwanderer. Im Alter von acht Jahren verließ sie
die Schule um ihrer Mutter zu helfen und wurde Zeugin des Selbstmordes ihres
Bruders. Ilana war das einzige Kind einer liebevollen intakten Familie
rumänischer Einwanderer. Als sie drei Jahre alt war, erkrankte sie an
Gehirnhautentzündung, und ihre geistige Entwicklung blieb stehen.
Der Film begleitet die beiden durch
alltägliche Erlebnisse in den letzten drei Jahren mit einer emotionalen
Intensität und Tiefe, die man bei einer Geschichte über zwei Menschen mit
„geistiger Behinderung" nicht erwarten würde.
In einer sehr berührenden Szene, die die
Regisseurin mit lang verweilendem Blick auf beide gestaltet, ist Schulamit
außer sich voller Kummer, weil sie denkt, daß Ilana sie als "blöde Ziege"
bezeichnet hat: "Wie kannst du sowas zu mir sagen? Was habe ich dir denn
getan" will Schulamit lautstark wissen. Ilana ist sprachlos und wird selbst
von Mitgefühl übermannt wegen des Kummers ihrer Freundin. Wegen der
Einschränkungen, die durch ihre eigene Behinderung gegeben sind, ist sie
aber nicht in der Lage das Mißverständnis zu klären.
Weiman-Kelman "entdeckte" die beiden durch
die Kol Haneshama Reformsynagoge in Jerusalem, deren Gründungsrabbiner ihr
Ehemann Levi ist. Die 30 Bewohner des Baka-Heimes für Erwachsene mit
Entwicklungsstörungen sind dort regelmäßige G-ttesdienstbesucher.
Die Beziehung begann vor über 15 Jahren als
die Kol Haneshama Synagoge keine eigenen Gemeinderäume hatte und auf
Einladung von Sarah Sherman, der Leiterin der Einrichtung, die Sukkah
mitbenutzen konnte. Über diese Zeit hinweg haben die Mitglieder der
Synagoge, die meisten sind Einwanderer aus den Vereinigten Staaten und
Großbritannien, Beziehungen zu den Bewohnern aufgebaut.
"Ich kenne sie schon so lange Zeit und habe
ihre besonderen Beziehungen mitbekommen. Ich wollte das mit anderen teilen".
Paula Weiman-Kelman brauchte ein Jahr um die finanziellen Mittel für den
Film zusammenzubekommen. Die Dorot Foundation gab die Hälfte der Kosten von
60 000 $.
"Ich höre gerne den Geschichten anderer
Menschen zu. Ich glaube das kommt vom ersten Beruf meines Vaters, der
Vertreter war" erzählt Paula, die in Pennsylvania in einer anti-religiösen
haSchomer haZair Familie aufgewachsen ist. Paula studierte Judaistik an der
Universität und betrachtet sich heute als spirituelle Person. "Wenn man mich
als 'religiös' bezeichnet, stellt man mich in eine Ecke, von der ich nicht
weiß, ob ich dort stehen möchte".
An der Universität traf sie ihren besten
Freund Levi. Viele Jahre später nachdem sie sich in einem Kibbuz in Israel
getroffen hatten, wurde er ihr Ehemann. Levi ist aus Manhattan. „Deswegen
habe ich ihn geheiratet" meint sie mit einem Lachen „ein Apartment an der
Upper West Side".
In den frühen 80iger Jahren während Levi
ein Schabbatjahr in London mit Rabbi Hugo Gryn verbrachte, machte Paula
ihren Master in Film und Fernsehen an der Universität London. "Ich mag
Menschen und ich hatte eine ernsthafte Krise, ob ich Sozialarbeit oder Film
und Fernsehen studieren sollte". Sie hat in über 20 Filmen, die zwischen
fünf Minuten und einer Stunde dauern, Regie geführt, gefilmt und produziert.
Das ABC-Fernsehen kaufte den letzten Film, ein Portrait über Alice Shalvi
„Rights of Passage. A Spiritual Journey."
(Anm. d. Übers.: dieser Film wurde vor zwei
Jahren auf dem Jewish Film Festival in Berlin mit großer positiver Resonanz
gezeigt)
Paula macht die Recherche, Produktion,
Kameraführung und Tontechnik alleine und ist nicht unglücklich damit. "Ich
wollte in der Filmbranche in Israel arbeiten und ein normales Leben führen",
sagt sie. "Alleine zu arbeiten gab mir völlige Flexibilität und ich
entdeckte, daß ich auch die Intimität liebe, die das mit sich bringt. Ich
liebe auch die technische Seite. Wenn ich fertig bin, lege ich mein gesamtes
Material Hila, meiner Cutterin vor. Sie hat ein unheimliches Gespür dafür,
die Dramatik einer jeden Szene herauszufinden."
Paula erlaubt den Protagonisten ihrer Filme
immer den Film vor der Endfassung anzusehen und Änderungen einzubringen.
"Ich möchte nicht, daß sie sich entblößt fühlen, sondern ihnen helfen ihre
Geschichten zu erzählen. Ich manipuliere nicht. Schulamit sprach über
mehrere sehr schwierige Themen wie den Selbstmord ihres Bruders, aber ich
habe das nicht hineingenommen".
Gegen Ende des Interviews fragt Paula:
"Kann ich Ihnen eine Analogie geben, wie ich mich im Prozeß des Filmens
fühle" und sie fährt fort: "Ich fühle mich wie wenn ich in der Mitte eines
Flusses stehe und so viele Dinge fließen an mir vorbei, die ich nicht
aufnehme. Und wenn ich einen Film wie diesen beende, dann kann ich aufhören
über alle diese Dinge nachzudenken. Ich habe einiges ausgelassen und denke
an das, was ich aufgenommen habe. Nun ist es beendet und ich fühle mich so
stolz, und ich bin keine, die das oft fühlt".
Übersetzung: Iris Noah
Der Film läuft mit englischen Untertiteln.
Kartenvorbestellungen unter Tel 269 55 100
Programm des 9. Jewish Film Festival
Jüdische Kultur in Berlin - Veranstaltungen
Interview mit Festivalleitrin Nicola Galliner
hagalil.com
20-06-02
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