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"Dem Deutschen Volke":
Ein Familienbetrieb
Am Ende der Anpassung: Die
Geschichte der Familie Loevy und ihrer Bronzegießerei schildert eine
Ausstellung im Berliner Jüdischen Museum
Von Dieter Wulf
"Dem deutschen Volke" steht seit 1916 als
Inschrift in großen Buchstaben über dem Westportal des Reichstags. Nach
den Vorstellungen des Architekten Paul Wallot sollte diese Widmung
bereits 1894 zur Einweihung des Reichstags angebracht werden. Doch zwei
Jahrzehnte lang debattierten die Parlamentarier ganz ohne Sinnspruch.
Der Grund sei aller Wahrscheinlichkeit nach der Kaiser, der den
Reichstag lieber "Dem Deutschen Reiche" gewidmet hätte, so vermutete man
damals. Stattdessen könne man doch schlicht "Seid einig" über den
Eingang schreiben, schlugen einige Berliner Journalisten vor, andere
rieten boshaft zu "Dem deutschen Heere". Doch der Platz für den
Sinnspruch blieb leer.
Erst als die Erfolge im Ersten Weltkrieg
ausblieben und die öffentliche Meinung begann, sich gegen den Kaiser zu
wenden, erinnerte man sich an die ursprüngliche Widmung. Um die
Verbindung zwischen Volk und Kaiser erneut zu unterstreichen, ließ man
die Buchstaben aus französischen Kanonenkugeln, die 1813 im Krieg gegen
Napoleon erbeutet worden waren, gießen. Eine weitgehend unbeachtete
Facette deutscher Geschichte. Völlig unbekannt war jedoch bis vor
kurzem, dass die bedeutungsschwere Inschrift von der Bronzegießerei
Loevy, einem jüdischen Familienunternehmen, gefertigt wurde.
Das Berliner Jüdische Museum nahm dies als
Anlass für eine umfangreiche Darstellung der genauso faszinierenden wie
erschreckenden Familiengeschichte Loevy. Eindrücklich zeigt die
Ausstellung, die im Berliner Libeskind-Bau zu sehen ist, wer wann zum
deutschen Volk gehörte und wer ausgestoßen wurde.
Samuel Loevy kam Mitte des 19. Jahrhunderts
nach Berlin und gründete 1855 eine Bronzegießerei mitten im Zentrum der
aufstrebenden Metropole. Schnell entwickelte sich die kleine Werkstatt
zu einer Firma, die für ihr handwerkliches Geschick bekannt war. 1910
machte Wilhelm II. sie zum "königlichen Hoflieferanten". 1929 schrieb
eine Berliner Tageszeitung überschwänglich, dass es "kein größeres
öffentliches Gebäude in Berlin und im Reich" gebe, das die Firma "nicht
beliefert hätte". Fast alle der damals bedeutenden Architekten wie
Walter Gropius, Mies van der Rohe oder Peter Behrens schätzten den
Familienbetrieb. Und so war es vermutlich Peter Behrens, der den Auftrag
für die Schrift am Reichstag an die Firma Loevy vergab.
Zu diesem Zeitpunkt sah sich die
Handwerksfamilie Loevy vermutlich längst als Teil des deutschen Volkes.
Und doch spielte die Religion immer wieder eine Rolle. Offizier zu
werden war einem Juden in der Kaiserzeit nicht möglich. Wie in vielen
deutsch-jüdischen Familien versuchten auch viele Mitglieder der Familie
Loevy das Problem durch noch intensivere Anpassung zu lösen. Während
einige Teile der Familie ihrem Glauben treu blieben, entschieden sich
andere bewusst dagegen. Am prominentesten war wohl Erich Gloeden, der,
als Erich Loevy geboren, sich 1918 zum Zweck der Namensänderung
adoptieren ließ. Da er bereits als Kind getauft war, wurde er von den
Nazis später nicht als "Mischling ersten Grades" identifiziert und
arbeitete als Architekt unter anderem für die Organisation Todt,
vermutlich auch an der Errichtung der Warschauer Gettomauer.
Im Widerstand war längst bekannt, dass Erich
Gloeden Verfolgten des Naziregimes dabei half, unterzutauchen. Trotzdem
hätte er vermutlich das Kriegsende unerkannt erleben können, wenn er
nicht 1944 einen führenden General der Verschwörer des 20. Juli bei sich
versteckt hätte, der eines Tages bei ihm vor der Tür stand. Das aber
wurde ihm zum Verhängnis. Im ersten Prozess gegen die Hitler-Verschwörer
verurteilte Roland Freisler den "Halbjuden Gloeden-Loevy" und seine Frau
zum Tode.
Lange vorher hatte Erich Gloeden in einem
langen Manuskript mit seinem Volk, seiner Familie und nicht zuletzt mit
sich selbst und seinem Weg der Anpassung abgerechnet. So konsequent wie
wenige andere war er den Weg der Assimilation gegangen. Doch weder die
Taufe noch das Ablegen des jüdisch klingenden Namens oder das Ehrenkreuz
für Frontkämpfer, das man ihm verliehen hatte, verschonten ihn davor,
vom deutschen Volk ausgeschlossen zu werden. Die Anpassung sei eine
Sackgasse gewesen, schrieb er verbittert.
Bis 15. Juni, Jüdisches Museum, täglich 10-20
Uhr, Mo. bis 22 Uhr
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