9. Jewish Film Festival in Berlin, 15. - 25. Juni 2003:
BEING DIFFERENT / ANDERS SEIN
Interview mit Nicola Galliner, Festivalleiterin...
Die Fragen stellte Angelika Ludwig
In den USA gibt es über 20 Jahre Jüdische Film Festivals. Ist das Berliner
Festival damit zu vergleichen, oder hat es ganz andere Ziele?
Nicola Galliner:Die Idee, ein Jüdisches Filmfestival in Berlin zu veranstalten,
kam natürlich von den großen Festivals dieser Art in den USA. Jedoch haben wir
hier wesentlich geringere finanzielle Mittel sowie ein ganz anderes Publikum.
Unsere Besucher sind neben Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde auch viele
nichtjüdische Berliner sowie Cineasten, und wir zeigen deshalb immer ein breites
Spektrum an Filmen zu einem bestimmten Thema.
Wir haben nicht nur wie die Amerikaner das Ziel, unserem Publikum das Neueste
aus der Welt der jüdischen Filme zu präsentieren, sondern auch, unseren
Besuchern die „jüdischen Lebenswelten", in die die Filme führen, näher zu
bringen. Gerade hier ist das Gespräch mit dem Regisseur, dem Produzenten, den
Schauspielern oder – dies ist bei Dokumentarfilmen der Fall - den Hauptpersonen
besonders wichtig.
Gibt es einen besonderen Grund für die Vielzahl der Dokumentarfilme, die in
diesem Jahr zu sehen sind?
Nicola Galliner:Unter den 18 Filmen, die wir in diesem Jahr zeigen, sind 7
Spielfilme, 8 Dokumentarfilme und 3 Kurzfilme. Wie jedes Jahr sind bei uns fast
die Hälfte der Filme Dokumentarfilme. Hier finden wir immer wieder ganz
außergewöhnliche und spannende persönliche Geschichten; in diesem Jahr besonders
eindringlich vertreten durch die Filme „My Terrorist" und „Reconstruction" .
Was verbindet die Filme, die in diesem Jahr zu sehen sind?
Nicola Galliner: Das Verbindende ist das Thema „Anders Sein": vom
orthodox-jüdischen Elvis-Presley-Imitator bis zu dem russisch-arabischen
Liebespaar in dem Film „A Trumpet In The Wadi".
Der Film „Blessings" über den Umgang einer kleinen liberalen hauptsächlich
amerikanischen Synagogengemeinde in Jerusalem mit ihren Nachbarn hat uns auch zu
dem diesjährigen Thema inspiriert.
Das „Anders sein" kann auch genossen werden und zu kleinen Film-Juwelen führen
wie unseren beiden Kurzfilme: „Jiddisch Love Story" und „Women Talking about
Adolf Hitler".
Eigentlich ist in jedem unserer Filme dieses Jahr das Thema zu finden: auf
subtile Art in den beiden französischen Filmen des Abschlussabends. Viel
deutlicher in den Filmen „Paradise Grove" and „The Hebrew Hammer".
Warum gibt es keinen Film aus Deutschland?
Nicola Galliner: Wir bringen gerne Filme nach Deutschland, die hier noch nie zu
sehen waren. Wir möchten auch, daß gerade diese Filme die Möglichkeit erhalten,
hier einen Verleih zu finden. So haben wir, denke ich, im Fall von „Train de
Vie" (Frankreich 1998) und „Made in Israel" (Israel 2001) dazu beigetragen, dass
diese Filme einen deutschen Verleiher gefunden haben.
Filme, die in Deutschland gedreht worden sind, haben in dieser Beziehung ganz
andere Möglichkeiten. So haben bei uns, in diesem Fall, eben die „Ausländer" den
Vorrang.
Was erhoffen Sie sich von dem Festival, welche Ziele verfolgen Sie damit?
Nicola Galliner: Das Hauptziel ist natürlich, die Filme dem hiesigen Publikum
näherzubringen, damit zugleich auch die Vielfältigkeit des jüdischen Lebens und
den Themenbereich Israel in ihrer ganzen Komplexität darzustellen. Dann möchten
wir auch unsere Festivalgäste, seien es Filmemacher, Schauspieler oder bei
Dokumentarfilmen diejenigen, die Thema des Films waren, in Kontakt mit dem
Publikum bringen. Für viele ist es der erste Besuch in Berlin, in Deutschland
überhaupt. Für andere ist es das erste Mal, daß sie mit Nichtjuden über ihren
Film sprechen.
Ist das eine Kritik an die Adresse der deutschen Verleiher?
Nicola Galliner: Viele der herausragenden israelischen Filme finden hierzulande
zu wenig Beachtung. Wir hoffen, dass durch das große Interesse des Publikums an
unserem Festival, das Interesse der Verleihfirmen auch geweckt wird.
Wie sieht es mit den jungen Filmleuten aus, sind die auch vertreten?
Nicola Galliner: In diesem Jahr sind sie besonders stark vertreten. Ein weiteres
Ziel ist ja die Förderung junger Talente Die Schauspielerin Tinkerbell aus
Israel, die Regisseure Jonathan Kesselman (USA), Tamy Ben-Tor (London) und Irene
Lusztig (USA), die dieses Jahr zu unseren Gäste gehören, sind alle zwischen 25
und 28. Es sind Namen, von denen wir, da bin ich mir sicher, noch viel hören
werden.
Dieses Festival wird gemeinsam von den Freunden der Deutschen Kinemathek sowie
der Jüdischen Volkshochule, deren Leiterin Sie seit 15 Jahren sind, getragen.
Letzte Woche hat die Repräsentanz der Jüdischen Gemeinde zu Berlin ihren
Jahresetat für 2003 verabschiedet, der eine Kürzung ihres Zuschusses für die
Jüdische Volkshochschule um 25 Prozent beinhaltete. Welche Auswirkungen wird
dies auf Ihre Arbeit in Zukunft haben?
Nicola Galliner: Aus dem Jahresetat der Jüdischen Gemeinde zu Berlin in Höhe von
25 Millionen Euro wurde die Jüdische Volkshochschule bisher mit ca. 1 Prozent
bezuschusst. Zusammen mit einem Senatszuschuss ist dies unsere finanzielle
Basis. Jedoch muß man klar sagen, dass das Programm der Jüdischen
Volkshochschule weit über das Kursangebot hinausgeht wie es normale
Volkshochschulen anbieten. Ein umfangreiches und zusammen mit vielen
Institutionen unserer Stadt erstelltes Kulturprogramm von Vorträgen, Lesungen,
Konzerten gehört ebenso zu unserem Angebot wie das Jüdische Filmfestival, sowie
Veranstaltungen in russischer Sprache und Deutschkurse zur Integration neuer
Gemeindemitglieder.
Dieses doch sehr weit gefächerte Programm zieht auch Besucher von so weit
liegenden Regionen wie Bayern und so nahen wie Brandenburg nach Berlin.
Und die Auswirkungen der Kürzungen?
Nicola Galliner: Die jetzt beschlossenen Kürzungen bringen unsere Einrichtung in
Gefahr und werden auf jeden Fall unsere Angebot stark beeinträchtigen.
Sie sind weder im Sinn der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, die sich in ihrer
Satzung verpflichtet hat, ihre Einrichtungen zur kulturellen Betreuung der
Mitglieder zu finanzieren, noch im Sinne unserer vielen Besucher, seien sie
Juden oder Nichtjuden, von den Dozenten ganz abgesehen.
Wie würden Sie ihre Kritik kurz formulieren?
Nicola Galliner: Während die Bundesregierung durch die diesjährige
Unterzeichnung des Staatsvertrages mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland
auch dessen kulturelle Aufgaben würdigt und zu ihrer Sicherung beitragen will,
kürzt die Berliner Jüdische Gemeinde, mit ca 11.000 Mitgliedern die größte in
Deutschland, gerade in diesem Bereich. Eine Entscheidung, die unverständlich und
unverantwortlich ist.
Um beispielsweise das Jewish Film Festival zu retten, das im nächsten Jahr sein
zehnjähriges Jubiläum feiern soll, werden wir auf andere Möglichkeiten der
Finanzierung hoffen und uns um Sponsoren bemühen müssen. Doch sind wir in diesen
Zeiten knapper Kassen da nicht sehr optimistisch.
Programm des 9. Jewish Filmfestival
jüdische Kultur in Berlin - Veranstaltungskalender
DG /
hagalil.com / 03-06-12
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