antisemitismus.net / klick-nach-rechts.de / nahost-politik.de / zionismus.info
Judentum und Israel
haGalil onLine - http://www.hagalil.com
     

hagalil.com

Search haGalil

Veranstaltungskalender

Newsletter abonnieren
e-Postkarten
Jüdische Weisheit
 
Sie finden hier zahlreiche Artikel aus dem 90er Jahren, d.h. aus den Anfangsjahren des WWW. Aktuellere Meldungen finden Sie im Nachrichtenarchiv unter Jüdisches Leben in Deutschland..., Antisemitismus, Rechtsextremismus..., Europa und die Welt... oder in den täglich aktuellen Nachrichten von haGalil.com...
Etliche Artikel in diesem Ordner entsprechen in Formatierung und Gestaltung nicht den heutigen Internetstandards. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.

Unterwegs?
Besuchen Sie auch die Seiten zu jüdischen Führungen in Berlin...

Ausstellung:
"Gruss aus Bad Kissingen"

Eine Ausstellung im Kommunikationsmuseums befasst sich mit judenfeindlichen Postkarten...

Von Judith Kessler

"Es küsst dich recht oft auf’s Nasenspitzerl Dein Karlibub" steht auf einer Postkarte, die im Kommunikationsmuseum nicht etwa ausgestellt ist, weil "Karlibub" 1899 offenbar heftig in „Spatzerl" verliebt war, sondern weil er seine Botschaft neben eine, „Verfolgter Hirsch" überschriebene Karikatur gequetscht hat, die einen Juden zeigt, der vor einem kläffenden Köter und jubelnden Kindern flüchtet, die ihn mit Schneebällen bewerfen. Solche Karten, die ihren „Witz" aus dem Gegensatz zwischen einem stolzen Namen wie eben Hirsch (Bär, Löwe) und einer abgebildeten Jammergestalt ziehen, sind zahlreich unter den 400 Postkarten des Berliner Sammlers Wolfgang Haney, die derzeit in der Ausstellung „Abgestempelt" zu sehen sind. Zusammen mit Flugblättern, Grafiken und einem detailreichen Katalog belegen sie die historische Entwicklung der jüdischen Bilderstereotype vom Mittelalter bis in die Gegenwart.

1870 wurden in Deutschland die ersten Correspondenz-Karten gedruckt, um 1900 lag die Produktion bereits bei 500 Millionen Karten jährlich. Wie Litfaßsäulen und Witzblätter waren sie Multiplikatoren der öffentlichen Meinung, derer sich die erstarkende antisemitische Bewegung gern bediente. Postkarten gingen durch unzählige Hände, sie konnten Stereotype verbreiten, bestätigen und im Bewusstsein festsetzen. Weigerte sich die Post anfangs noch, antisemitische Karten zu befördern, war es schon bald durchaus üblich, die bunten Karten mit ihrem platten Humor und den selbst gestrickten Kausalzusammenhängen zu sammeln oder zu verschicken – mal mit Erläuterung zum Bild, meist aber ohne Bezug, einfach so: „Herzliche Sonntagsgrüße von uns allen, Deine Mutter".

Viele Karten wirken „harmlos" und wurden sicherlich gedankenlos verschickt. Dennoch bereiteten sie den Boden für die Enthemmung, die letztlich zur Ermordung der als minderwertig-schädlich Dargestellten führte. Die Ausstellung zeigt in 17 Abteilungen sowohl die fließenden Übergänge vom Jux zur scharfen Ausgrenzung als auch die Breite des Spektrums dieser Karten, die es in allen Variationen und zu allen Themen gibt. Die „Gruß von der Musterung"-Karten beispielsweise, mit denen Angehörigen das Musterungsergebnis mitgeteilt wurde, operierten mit dem „Gag", Juden als wehruntauglich darzustellen: Der Jude rennt also in die falsche Richtung, hält das Gewehr falsch, drückt sich, wo er kann, oder fällt bei der Musterung als rachitisch, krummbeinig, zu dürr oder zu fett durch (in der Realität war jeder sechste deutsche Jude Teilnehmer am Ersten Weltkrieg). Die angeblichen Besonderheiten der Physignomie oder des Habitus (fliehende Stirn, krumme Nase, Wulstlippen, Plattfüsse, wildes Gestikulieren, jiddelndes Deutsch) finden sich auf fast allen Postkarten, sie sollten Juden dort, wo sie sich äußerlich nicht mehr von anderen unterschieden, „erkennbar" machen.

Eines der Lieblingssujets war jedoch der optisch durchaus erkennbare arme (verlauste, nach Knoblauch stinkende) „Ostjude", der dem Deutschen den Platz wegnimmt und ihn notorisch betrügt („Der Jude fälschet überall, er färbt sogar das Pferd im Stall..."). Gern als schwarzer (Unglücks-) Rabe mit großem Schnabel gezeichnet, wurde das Stereotyp des „Ostjuden" zugleich auf den assimilierten (getarnten) „Westjuden" übertragen. Dieser wiederum treibt auf den Bildern als geldgeiler Wucherer („Elias Nimmersatt") sein Unwesen. Mit Emanzipation und neuen ökonomischen Freiheiten wird aus ihm der fette, mit Klunkern behängte „Bankier", „Börsianer" oder „Kapitalist" oder aber der Intellektuelle (Anwalt, Psychiater, Journalist), der wahlweise für die kapitalistische oder die kommunistische Weltverschwörung zuständig ist.

Ein anderes populäres Klischee war das jüdische „Mannweib" (generell auch die Frau auf dem Weg zur Emanzipation) und der „weibische" Jude, denn als Norm galt, männlich und Nicht-Jude zu sein. Sein Gegenstück bildete der jüdische „Sexprotz", so dass entweder schmierige Lustmolche dargestellt wurden, die deutsche Frauen anbaggern oder feige Schwächlinge, die sich von ihren – sie in Höhe wie Breite überragenden – Gattinnen beherrschen lassen.

Erotik spielte auch auf den „Bäderkarten" eine große Rolle. Um 1900 war es in der Oberschicht en vogue zum Kuren nach Karlsbad, Marienbad oder Bad Kissingen zu fahren. Die Karten, die man von dort nach hause schickte, kommentierten das oft erstmalige Aufeinandertreffen osteuropäischer Juden und westlicher Gäste, parodierten vornehmes Getue jüdischer Neureicher und nutzten gern Anzüglichkeiten wie vor der Toilette anstehende Juden oder die jüdische "Matrone" – so die nackte, schmutzige "Rebekka im Bade", von deren Händen Moorschlamm wie Blut tropft, und zu der die "deutsche" Bademeisterin den weiß-reinen Gegensatz bildet.

Urlaubsorte wie Zinnowitz oder die Nordseeinsel Borkum forderten auf ihren Karten: "…doch wer hier naht mit platten Füßen, mit Nasen krumm und Haaren kraus, der soll nicht deinen Strand genießen, der muss hinaus". Ein Frankfurter Hotelier bewarb seine Gäste bereits 1896 mit Karten, auf denen "Judenfrei!" stand und auch die Aufforderung "Kauft nicht bei Juden!" ist keine Erfindung der NS-Zeit, sondern zierte Postkarten schon zur Jahrhundertwende. Zu dieser Zeit hatten antisemitische Parteien längst begonnen, die Auswanderung der Juden zu propagieren. Es gab die "Freifahrkarte nach Jerusalem… hin und nicht wieder zurück" und jede Menge Bilder, auf denen Juden per Fußtritt aus der Kneipe, der Stadt oder dem Land befördert wurden.

Allerdings waren solche Postkarten keine deutsche Spezialität. Im zaristischen Russland, aber auch in der Sowjetunion wurden Juden vorzugsweise als Kapitalisten, Ratten oder Spinnen dargestellt, die die bestehende Ordnung untergraben oder später als "internationaler Zionismus" die Welt bedrohten. Auf tschechischen und polnischen Karten sind Juden als betrügerische Schankwirte zu sehen, sie ziehen brave Arbeiter am Nasenring hinter sich her oder verkleiden sich vergeblich (da an den Nasen immer noch erkennbar) als polnische Bergbauern (englische Karten „entlarven" ihrerseits Dudelsack spielende Juden im Schottenrock). Auf amerikanischen Karten geht es selten um einen Schaden für die eigene Nation, sondern Juden werden "nur" als Fremde und/oder Wucherer verspottet ("Belief me" – warnt in falschem Englisch vor Juden mit Zigarre und protzigem Brillianten). In Frankreich sind die Darstellungen meist mit Personen jüdischer Herkunft (Alfred Dreyfus, Léon Blum) verknüpft, die exemplarisch für die ganze "Gattung" stehen sollen. Zuletzt orientiert sich der Stil jedoch auch hier an deutschen Vorbildern: Juden sind Ratten, die am französischen Käse nagen oder sie lauern, das Messer in der Hand, hinter dem ahnungslosen Franzosen. Bei der "Konkurrenz" stoßen die "jüdischen Kriegsgewinnler" wiederum dem "unbesiegbaren" deutschen Heer (in Gestalt eines im Schützengraben hockenden Soldaten) den Dolch in den Rücken.

Diese eindeutigen Agitationsbilder, die mit den Witzbildchen vor dem Ersten Weltkrieg nur noch wenig gemein haben, dürften – wie die nun gängige Hetze ("Centralverein deutscher Staats-Würger jüdischen Glaubens") gegen jüdische Persönlichkeiten von Rathenau bis Mühsam – den Nationalsozialisten mit zum Sieg verholfen haben. Das NS-Propagandaministerium ließ dann auch nach den Olympischen Spielen 1936 die Maske endgültig fallen. Nun gab es keine Karikaturen mehr, sondern Fotografien mit zynischen Bildunterschriften – "Säuberungsaktion", Kleinstadtjuden ("Kulturvolk") in Polen oder Stadtansichten mit Aufklebern: "Was hier an dieser Stelle stand/Aus Nürnberg endlich ist verbannt" – gemeint war die Synagoge.

Das Ende des Ausstellungsrundgangs bilden – folgerichtig – Torarollen, die von deutschen Soldaten in Polen zum Verpacken ihrer Pakete benutzt wurden, und noch die Adressaufkleber tragen.

"Abgestempelt. Judenfeindliche Postkarten",
bis 15. Februar 2004 im Museum für Kommunikation, Leipziger Straße 16, Di-So 9-17 Uhr, Sa 11-19 Uhr

Erstveröffentlichung in:
Jüdisches Berlin, Januar 2004

Kulturveranstaltungen in Berlin
Juden und jüdisches Leben in Berlin

IW / hagalil.com / 2004-01-24

Startseite
English Content

 


DE-Titel
US-Titel


Spenden Sie mit PayPal - schnell, kostenlos und sicher!

Werben in haGalil?
Ihre Anzeige hier!

Advertize in haGalil?
Your Ad here!

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine

[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2008 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved