Jüdische Kulturtage Berlin:
Diskussion zu Konversion und Judenmission
Wahrheitssucher? Wendehälse? Wechselbälger? Taufe und
Konversion zwischen Identitätskrise und Wertedebatte...
Kommentar zu einer Podiumsdiskussion
Es versprach ein interessanter Abend zu werden, zu dem in das
Jüdische Museum Berlin im Rahmen der jüdischen Kulturtage unter dem Motto
"Mendelssohn & Compagnie" eingeladen wurde. Henryk Broder, bekannt für seine
scharfzüngigen Analysen - wenn auch zum Thema Übertritt bei der TV Moderatorin
Bärbel Schäfer unterhalb der Gürtellinie - war wegen anderer "wichtiger
Verpflichtungen" nicht erschienen. Und das war leider nur die erste in einer
beträchtlichen Reihe von Enttäuschungen.
Thomas Lackmann, einer der
Organisatoren der diesjährigen Kulturtage und selbst in achter Generation
Mendelssohn-Nachkomme, sprach einige einleitende Worte zu zwei
Ausstellungsstücken: ein Kreuz, das Fanny Hensel auf einer Italienreise erworben
hatte und eine Taufschale in der die Namen der 27 Mendelssohn-Enkel eingraviert
sind, die über sie gehalten wurden.
In seinem Eingangsstatement
skizzierte der Kölner Historiker Till van Rhaden die unterschiedlichen
Motivationslagen von Juden, die während des 19. Jahrhunderts zum Christentum
konvertierten: Handelte es sich zwischen 1800 und 1820 um eine sehr kleine
Gruppe, wo jeweils ganze Familienverbände der jüdischen bürgerlichen Elite
übertreten, um einen Lösungsweg für ihr Anliegen der Aufklärung zu finden, so
sind es danach vorwiegend Männer jüngeren Lebensalters zwischen Ende zwanzig um
ihre Karrierechancen zu verbessern. Heinrich Heine hat dies einmal mit der
prägnanten Formulierung "Entrebillet für die Gesellschaft" bezeichnet. Diese
Bewegung bricht 1840 ab. Dann kommt es wieder am Ende des 19. Jahrhunderts zu
dem Phänomen, daß sich viele Juden taufen lassen, wofür die Bezeichnung
"Tauf-Epedemie" geprägt wird. Der Gegenentwurf dazu ist im "Trotzjudentum" zu
sehen: Menschen, die nur noch eine lockere Verbindung zum Judentum haben, sich
dennoch nicht taufen lassen, selbst wenn ihnen das gesellschaftliche Vorteile
bringen würde.
Schwester Maria-Theresia Smith vom Karmel-Kloster in
Berlin-Plötzensee - befragt nach der als Jüdin geborenen Edith Stein (geb. 1871)
- beschreibt diese als 11. Kind, das unter dem Einfluß der älteren Geschwister
stand, die sich alle vom Judentum distanziert haben. Schon mit 14 Jahren
definiert sich Edith Stein als Atheistin. Die Mutter war praktizierende Jüdin
gewesen, hatte es jedoch nicht vermocht, den Kindern zu vermitteln, was ihr an
ihrer Tradition wertvoll war. Edith Stein fand als nicht mehr Glaubende im
Studentinnenalter zum Christentum, wobei die Auseinandersetzung mit
Studienfreunden und Professoren, die ihrerseits Juden gewesen waren und zum
Christentum - meist protestantischer Prägung - konvertiert waren, eine
maßgebliche Rolle gespielt haben.
Auf besonderes Interesse stieß
Rabbinerin Gesa Ederberg (jüdische Gemeinde Weiden sowie Masorti Berlin), die
sich vor einiger Zeit in der Allgemeinen Jüdischen "recht offenherzig" - so der
Moderator Micha Brumlik - als Konvertitin geoutet hatte. Sie beschrieb
Konversion zum Judentum als "das Unjüdischste, was es gibt" und es gäbe "keine
vernünftigen Gründe" dafür. Eigentlich logisch, denn da ein Jude schon Jude ist,
erübrigt sich für ihn die Frage nach der Konversion zum Judentum. Trotzdem
machten einige der im Saal Anwesenden durch ihre Fragen deutlich, daß sie die
Motivation(en) gern nachvollziehen würden. Ob ein solches Podium dafür der
richtige Ort ist, darf bezweifelt werden, handelt es sich doch um einen sehr
individuellen Prozeß. Auch wenn die Rabbinerin sehr persönlich antwortete und
sich große Mühe gab, den Fragenden verständlich zu machen, daß es ihr um das
Finden eines Ortes ging, an dem sie sich zuhause fühlt, wurde an den Reaktionen
vieler Zuhörer deutlich, wie schwierig es ist, solche Prozesse nachzuvollziehen
und auch nachvollziehbar zu machen.
Gesa Ederberg brachte Verständnis
für geborene Juden zum Ausdruck, die zuweilen Schwierigkeiten mit
Konversionswilligen haben. Sie selbst ist in ihrer Gemeindepraxis mit
unterschiedlichen Begründungen konfrontiert worden, die auch ihr Mühe machen.
Harmlos ist da noch die Begeisterung für Klezmer und Bagel, schwierig wird es,
wenn jemand die Naziuntaten der eigenen Großeltern büßen will und meint, dies
durch seinen demographischen Beitrag leisten zu können. An diesen schwierigen
Motivationen entzündete sich die Frage, ob es legitim sei nach authentischen
Beweggründen zu fragen und ob man diese überhaupt unterscheiden könne von denen,
die es nicht sind. Wer will mit welchen Begründungen hier die Auswahl treffen,
so wurde aus dem Publikum gefragt. Deutlich wurde daran, daß heutzutage der
Übertritt vom Christentum zum Judentum - im Gegensatz zu früheren Zeiten - die
größere Bedeutung hat und wenn Juden heute beispielsweise in Amerika Mission
betreiben - meist "outreach" genannt - , dies dann Aktivitäten sind, die sich an
andere Juden richten.
Philipp Gessler, Redakteur der in Berlin
erscheinenden Tageszeitung taz, hat im Februar 2001 - also vor mehr als 3 ½
Jahren - einen Artikel, "Die christliche Synagoge", publiziert, der - so man
Gesslers Name bei google eingibt, an erster Stelle erscheint, und zwar deswegen,
weil dieser im Archiv von haGalil online positioniert ist. Er wurde von den
Veranstaltern als Fachmann für messianische Juden und Judenmission eingeladen,
also für etwas, "was es eigentlich nicht gibt": Juden, die in Jesus den Messias
sehen. Philipp Gessler erzählte aus seinem Artikel. Neueres hatte er nicht
beizutragen und das, was er auf Nachfrage antwortete, war falsch. Man könne
nicht sagen - so schloß er aus seiner persönlichen Internet-Recherche - wieviele
messianische Gemeinden es in Deutschland heute gäbe und daher seien Aussagen, ob
die Zahl gestiegen sei oder nicht, nicht möglich.
Das trifft nicht zu,
denn bei Eingabe entsprechender Suchworte findet man eine Deutschlandkarte im
Internet, auf der alle messianischen Gruppen, Hauskreise und Gemeinden -
bestehend oder im Aufbau - sichtbar gemacht werden. Philipp Gessler wies darauf
hin, daß die katholische Kirche sowie die evangelischen Kirchen sich gegen
Judenmission ausgesprochen hätten und zitierte den Ratsvorsitzenden der EKD
sowie Landesbischof der evangelischen Landeskirche von Berlin-Brandenburg Dr.
Wolfgang Huber, man belehre seine älteren Brüder - gemeint sind die Juden -
nicht.
Daß die evangelische Kirche - auch in Berlin und Brandenburg -
zwar nicht offen, aber durchaus indirekt Judenmission unterstützt, blieb ein
Tabu, obwohl es schon seit Jahren im Internet nachzulesen ist und niemals eine
Gegendarstellung von kirchlicher Seite erfolgte.
Die GGE (geistliche Gemeindeerneuerung in der
evangelischen Kirche) ist der charismatische Zweig der Landeskirchen und in
diesen als Verein organisiert. Sie baut gerade einen neuen Arbeitszweig auf -
nämlich eine sogenannte Brücke zwischen Israel und Deutschland. Ein Pfarrer soll
ab 2005 diese Arbeit hauptamtlich durchführen, und zwar freigestellt von der
badischen Landeskirche, in deren Auftrag er viele messianische
(judenchristliche) Gemeinden besucht hat. Außerdem sind bereits
Israelkonferenzen 2005 und 2006 geplant. Dies sind überregionale Treffen, auf
denen Christen nicht nur für Israel beten, sondern auch für Judenmission
geschult werden.
Allein im zweiten Halbjahr 2004 haben in Deutschland
zwei größere Konferenzen mit mehreren hundert Teilnehmern aus Landes- und
Freikirchen stattgefunden, zu denen messianische Juden als Sprecher eingeladen
wurden und auf denen die Konferenzteilnehmer zum Zeugnis an Israel (gemeint ist
damit Judenmission) geschult wurden.
Vor wenigen Wochen hat eine
evangelikale Ausbildungsstätte für den theologischen Nachwuchs und die Gemeinden
ein "Institut für Israelogie" eröffnet, um ein tieferes biblisch-prophetisches
Verständnis für Israel zu fördern, womit letztlich auch Judenmission gemeint
ist, denn zum Bibelverständnis von Evangelikalen gehört, daß Jesus als Messias
erst dann wiederkommen wird, wenn sich - am Ende der Zeiten - die Juden in
großer Zahl zu Jesus bekehren und nach Israel zurückkehren werden.
Die
evangelikale Vierteljahreszeitschrift "Charisma" (Auflage 10 000), die in
Düsseldorf für den gesamten deutschsprachigen Raum publiziert wird, hat ihre
aktuelle Ausgabe vom Oktober 2004 erstmals zweisprachig deutsch und russisch
publiziert. Zielgruppe sind neben Rußlanddeutschen auch jüdische Zuwanderer. Ab
2005 wird es jedes Vierteljahr eine komplett russisch sprachige Ausgabe geben,
die durch Partner auch in den ehemaligen GUS-Staaten verbreitet werden soll.
Seit einigen Wochen gibt es erstmals in deutscher Sprache eine messianische
Zeitschrift "Kol Chesed" (Stimme der Gnade). Herausgeber ist das Missionswerk
"Beit Sar Shalom" (BSSE), der deutschsprachige Zweig von "Chosen People
Ministries".
All dies ist dem zum Thema messianische Juden und
Judenmission als Experten eingeladenen Journalisten unbekannt als er nach
neueren Entwicklungen gefragt wird. Er hält die Evangelikalen - weil zahlenmäßig
im Vergleich zu den Großkirchen eine kleine Gruppierung - in ihrem Einfluß für
marginal.
Rabbinerin Ederberg sieht in der Tatsache, daß Juden in
messianischen Gruppierungen eine Heimat finden, eine Herausforderung an die
bestehende Gemeindearbeit.
Leider gelang es Micha Brumlik als Moderator
nicht, ein Co-Referat aus dem Publikum zu begrenzen und aus den im
Ausschreibungstext angelegten Fragestellungen provokante Anstöße zu entwickeln.
Interessanterweise war es der Kölner Historiker Till van Rhaden, der in seinem
Abschlußstatement auf die "Renaissance der evangelikalen Protestanten" wie sie
auch in den Wahlergebnissen der amerikanischen Präsidentschaftswahlen 2004 in
zum Ausdruck kam, hinwies. Diese Entwicklung sieht er auch auf Deutschland
zukommen, allerdings - so meint er - "erst in zehn bis zwanzig Jahren".
Die christliche Synagoge
Wie die evangelische Kirche in Berlin Judenmission unterstützt
Juden für Judentum gegen Judenmission
al /
hagalil.com / 2004-11-18
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