Regina Jonas
Zwischen Tradition und Aufbruch
Von Iris Weiss
"Möge bei aller Treue und Liebe zu unserem Schrifttum und
seinen heiligen Vorschriften doch auch nicht vergessen werden, daß der Geist
der Freiheit aus ihm spricht ... außer Vorurteil und Ungewohntsein steht
halachisch (=religionsgesetzlich) fast nichts dem Bekleiden des rabb. Amtes
seitens der Frau entgegen". Zu dieser Einschätzung kommt Regina Jonas in
ihrer Abschlußarbeit im Fach Halacha (jüdisches Religionsgesetz) zum Thema
"kann die Frau das rabbinische Amt bekleiden?". Diese Fragestellung wurde zu
dieser Zeit als äußerst provokativ empfunden.
1902 in Berlin als Tochter eines Kaufmanns geboren,
studierte sie ab 1924 - wie auch einige andere Frauen - an der liberalen
Hochschule für die Wissenschaft des Judentums. Der Abschluß ermöglichte
Frauen eine Tätigkeit als Religionslehrerin. Das Ziel von Regina Jonas war
es jedoch, als Rabbinerin wirken zu können. Der Weg dorthin erwies sich als
mühsam.
Sie schloß das Studium 1930 mit dem Titel einer
akademisch geprüften Religionslehrerin ab und unterrichtete an öffentlichen
Schulen und an Schulen der jüdischen Gemeinde. Erst 1935 wurde sie von dem
in Offenbach amtierenden Rabbiner Max Dienemann geprüft. Er befand sie für
fähig, Fragen des Religionsgesetzes zu beantworten und erteilte ihr die
Ordination.
Trotz Ordination war sie bei der Jüdischen Gemeinde zu
Berlin weiterhin als Religionslehrerin eingesetzt und wirkte auch im Bereich
der rabbinisch-seelsorgerlichen Betreuung in Sozialeinrichtungen der
jüdischen Gemeinde. Sie entfaltete eine reiche Vortragstätigkeit zu
unterschiedlichen biblischen und theologischen Themenstellungen wie etwa die
Stellung der Frau in der jüdischen Tradition.
Im Zuge der zunehmenden Verfolgung der Juden stieg die
Zahl der Gemeinden, die ohne Leitung und Betreuung waren, weil deren
Rabbiner ins Ausland vertrieben oder deportiert worden waren. Beauftragt von
der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland reiste Regina Jonas zu
Kleingemeinden im Preußischen Landesverband, um zu predigen und Menschen
seelsorgerlich zu begleiten. Die von ihr gehaltenen Gottesdienste fanden
großen Zuspruch. Es wurde ihr eine hohe und strenge Pflichtauffassung
bestätigt.
Ab 1942 mußte sie in einer Lichtenberger Kartonagenfabrik
Zwangsarbeit leisten. Auch in dieser Zeit übte sie noch rabbinische
Funktionen aus. Im November wird sie ins Konzentrationslager nach
Theresienstadt deportiert. Dort hatte der Wiener Arzt und Begründer der
Existenzanalyse
Viktor Frankl ein "Referat für psychische Hygiene" eingerichtet -
eine Art Krisenintervention. Die meisten Ankommenden waren unvorbereitet und
deshalb schockiert von dem, was sie in Theresienstadt vorfanden. Frankl ging
davon aus, daß bei entsprechender Hilfestellung die Überlebenschancen größer
seien und bat Regina Jonas um ihre Mitarbeit. Ihre Aufgabe bestand im
Empfang der Neuankommenden. Außerdem setzte sie auch unter diesen
Bedingungen ihre Lehr- und Predigttätigkeit fort. 1944 wird sie nach
Auschwitz deportiert und ermordet.
Die nächste Rabbinerin wird erst 1972 mit Sally Priesand
im Reformjudentum der USA ordiniert, das konservative Judentum folgt ein
Jahrzehnt später. Inzwischen wurden mehr als 200 Frauen ordiniert, die
vorwiegend in englischsprachigen Ländern tätig sind. Auch weibliche
Kantorinnen werden inzwischen ausgebildet. Seit 1995 arbeitet Bea Wyler als
erste Rabbinerin der Nachkriegszeit in Oldenburg und Braunschweig, wo man
bewußt an liberale Vorkriegstraditionen anknüpfen wollte. Und in Offenbach -
so hat die dortige Stadtverordnetenversammlung beschlosssen - wird es in
Kürze eine Rabbiner-Jonas-Straße geben. Und in Berlin?
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