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Der »rote Rabbiner«

Ein Nachmittag im Jüdischen Kulturverein Berlin
Von Suzanne Kupfermann

Juden in Berlin / Jewish Berlin

Oranienburger Strasse / Berlin

Seiner Tochter Paloma, Schriftstellerin, fiel es nicht schwer, über den Vater David Victor Tulman zu sprechen. Sie lebt mit ihrer Mutter seit Jahren in Jerusalem, wo er beerdigt ist. Er hörte wohl nicht ungern, dass er zu Lebzeiten als der »rote Rabbiner« bezeichnet wurde. Für ihn, der 1901 in einem kleinen ungarischen Ort in eine arme rabbinische Dynastie hineingeboren worden ist, war Moses immerhin der erste Kommunist, doch scheint dies eher die ideale Persönlichkeit zu bezeichnen und auf keinen Fall die missglückten staatssozialistischen Versuche zu meinen.

Gerade ist bei Lindemanns Bibliothek im INFOVerlag ein Buch herausgekommen, für das Tochter und Vater als gemeinsame Autoren firmieren. Der Titel: »Mit der Kraft zu lieben« – Der Lebensweg des David Victor Tulman, genannt der »rote Rabbiner«, aufgezeichnet von seiner Tochter Paloma. Die Geschichten und Notizen des »freien Rabbiners« David Victor Tulman wurden dankenswerterweise von der Tochter sensibel mit-lektoriert. Tulman verstarb 1987 in Paris. Im JKV referiert die Tochter einen Lebensweg, der selbst im Jahrhundert der jüdischen Schicksale als nochmals außergewöhnlich bezeichnet werden darf. Da wird ein armer Knabe wegen des Lesens von Spinoza der Jeschiwa verwiesen, er zieht durch Europa, lebt in Budapest, Italien, Berlin, London und Paris, ist Kantor und auch Opernsänger. 1936 geht er nach Spanien, um hier ohne Waffe als Rabbiner und singend der gerechten Sache der Internationalen Brigaden zu dienen. Wie alle anderen erlebt er das Ende des Kampfes, findet sich dann in französischer Internierung wieder, doch weil er hier als ungarischer Jude und nicht als Spanienkämpfer gilt, bleibt er weit länger im Lager Gurs als die von hier weiter deportierten Spanienkämpfer. 1944 flieht er zur Résistance. Sein ganzes Leben hindurch, so die Tochter, fühlt er sich Tora, Talmud und der Kabbala verpflichtet, immer in Sehnsucht nach menschlicher Gerechtigkeit, auch als er kurzzeitig der KP in Frankreich angehört. Nie habe er den Hass zwischen Menschen nachvollziehen können, niemals und nirgends, was sein wirkliches Leben in dieser Welt der Realitäten nicht einfacher machen sollte. 1925 wird er wegen dieses Unverständnisses aus Palästina ausgewiesen, mehrmals flieht er vor den Nazis, und nach dem Krieg bleibt er seiner Maxime der Gerechtigkeit und dem Pazifismus treu. In Frankreich, noch mehr in Israel, setzt er sich für die Toleranz zwischen den Religionen ein, für den Dialog zwischen Mensch und Mensch. Seine Tochter Paloma bewahrte diesen Funken. Sie studierte als Französin an der palästinensischen Universität, und als Jüdin sucht sie in Israel dem Frieden zu dienen. Weise und mit leiser Stimme fügte sie hinzu, es wäre sehr schwer, jenen, die hassen, immer wieder aufs Neue die Hand zu reichen. Doch die Hassenden sind vor allem Menschen, mit denen auf dieser Welt gemeinsam Zukunft gebaut werden muss.

Der Publizist Walter Ruge (Potsdam), ein Freund der Tulmans, las im gerade erschienenem Buch zwei Kapitel über Kindheit und Spanienkrieg. In der Debatte ging es schließlich heiß her, zu vieles war vorgetragen worden, was nicht ins bekannte Bild von Frömmigkeit, Widerstand und Spanienkrieg passte, und so dauerte es eine Weile, bevor klarer wurde, wie das Leben von außergewöhnlichen Menschen, zu denen auch David Victor Tulman gehört, mit vielen auch kontrovers zu deutenden Überschneidungen und sehr wenig mit enger Begrenzung in Raum und Zeit zu tun hat. Paloma Tulman blieb angesichts der Aufregung geduldig. Ihre Antworten ließen erkennen, dass sie nicht zum ersten Mal mit Meinungen und persönlichen Erfahrungen konfrontiert war, in denen ihr Lebenssinn und ihres Vaters Lebensweise nicht wirklich vorstellbar sind. Worte wie Zuversicht und Optimismus sind geeignet, dies zu umschreiben.

Da Paloma und ihre leider erkrankte Mutter sich wegen der Ereignisse kurzfristig entschieden, aus Israel abzureisen, konnte der Nachmittag in der »JK« 11/00 nicht mitgeteilt werden, doch die Berliner Presse informierte rechtzeitig. Die Anwesenden erfuhren so von einem vielschichtigen Leben, davon, wie der Mensch trotz erzwungener Wanderung und Flucht je nach Überzeugung und Kraft Erstaunliches vollbringen kann. David Victor Tulman überzeugte in den Worten seiner Tochter durch unbeugsamen Willen, vermittelnd und aufklärend zugleich und keinerlei Hass zwischen Menschen und Völkern akzeptierend.

aus: Jüdische Korrespondenz, S. 3 Nr. 1/2001 herausgegeben vom Jüdischen Kulturverein

Jüdischer Kulturverein Berlin (englisch)
Termine des Jüdischen Kulturvereins
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