Wegweiser in die Zukunft
Erinnerung im globalen Zeitalter: Am Sonntag wird in Berlin das neue
Jüdische Museum eröffnet, ab Dienstag steht es dem Publikum offen. Das
internationale Interesse ist jetzt schon enorm
BERLIN
taz - Die
Verkehrsschilder sind angeschraubt. Sie weisen den Weg zur jüngsten
Sehenswürdigkeit Berlins - dem Jüdischen Museum im Stadtteil Kreuzberg,
dessen ständige Ausstellung am Sonntagabend im exklusiven Kreis von 850
geladenen Gästen, darunter Gerhard Schröder und Henry Kissinger,
eröffnet wird. Nach einem Konzert von Daniel Barenboim mit dem Chicago
Symphony Orchestra wird Museumsdirektor Michael Blumenthal seine Gäste
durch die Ausstellung führen, deren Gesamtbild bisher nur in Details
bekannt ist. Am Montag sind Spender und Sponsoren des Museums an der
Reihe, und erst am Dienstagabend wird sich das Haus dem Publikumsansturm
stellen: Mit 6.000 Besuchern täglich rechnen die Ausstellungsmacher von
nun an im Schnitt.
Das ist wohl kaum zu hoch gegriffen, denn das weltweite
Interesse am neuen Museum, das nun das größte seiner Art in Europa ist,
ist enorm: Allein 500 Journalisten werden am Montag zum Presseempfang
erwartet, vom Korrespondenten der chinesischen Volkszeitung bis zur New York Times;
das US-Magazin Newsweek schickte dem Ereignis eine Titelstory
voraus. Schon als es noch leer stand, war das Haus ein Publikumsmagnet:
350.000 Menschen haben den markanten, zickzackförmigen Neubau besucht,
entworfen vom amerikanischen Architekten Daniel Libeskind, seit er im
Januar 1999 erstmals Besuchergruppen seine Türen öffnete.
An die Ausstellung, die nun zu sehen sein wird, knüpfen
sich hohe Erwartungen, ihre Gestaltung warf aber auch viele Fragen auf.
Zum Beispiel: Wie lässt es sich, angesichts der symbolträchtigen
Vorgaben der Architektur, vermeiden, das der Holocaust zum alleinigen
Fixpunkt des Museums wird? Lässt sich das sperrige Gebäude überhaupt
bespielen? Oder: Wie wird das Museum dem Paradox gerecht, dass sich
viele deutsche Juden der Weimarer Zeit oft gar nicht mehr als Juden,
sondern als Deutsche fühlten, wenn nicht sie sich nicht als bürgerliche
Kosmopoliten verstanden?
Das Museum will, so wird Direktor Blumenthal nicht müde
zu betonen, die ganze Vielfalt jüdischen Lebens in Deutschland zeigen -
zwei Jahrtausende gemeinsamer Geschichte, von den Anfängen in der
Römerzeit bis heute, nicht weniger. Doch es ist die Zäsur des
Holocausts, die ein Jüdisches Museum im Land der Täter, in dessen
Hauptstadt, ins Zentrum weltweiter Aufmerksamkeit stellt. Und die
Erinnerung an den Holocaust ist, durch Hollywoodfilme und andere
Erzählungen, längst internationales Allgemeingut geworden.
Der Soziologe Natan Sznaider, der in Israel lebt und
gerade ein Buch über "Erinnerung im globalen Zeitalter" verfasst hat,
argumentiert heute in der taz, dass sich das kollektive Gedächtnis in
einer globalisierten Welt aus seinen bisherigen ethnischen Grenzen zu
lösen beginnt - dafür spricht nicht zuletzt das weltweite Interesse an
Berlins neuestem Museum. Das Jüdische Museum in Berlin sei deshalb aber
auch weit mehr als nur der Ort einer jüdischen und deutschen Erinnerung
- es bietet vielmehr ein Beispiel für den Umgang mit einer Minderheit in
einer modernen Gesellschaft, das auch anderen Mahnung und Vorbild sein
kann. Die Eröffnung des Jüdischen Museums in Berlin könnte deshalb nicht
nur der Vergegenwärtigung der Vergangenheit dienen. Sondern auch der
Aussicht auf eine bessere Zukunft.
DANIEL BAX
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