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Soziales und Senioren:
Gemeinde als Dienstleistungsbehörde?

Die Mitgliederbefragung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin

Von Judith Kessler

Nicht einmal 30 Prozent der Befragten wissen sicher, an wen sie sich in der Gemeinde wenden könnten, wenn sie "morgen ein Problem hätten", 19 Prozent wissen es nicht und über ein Drittel sind sich unsicher. Weitere 14 Prozent lehnen es apriori ab, sich an die Gemeinde zu wenden, und zwar vorwiegend Jüngere und nicht in der UdSSR Geborene. Generell fühlen sich 29 Prozent der befragten Mitglieder bei der Lösung ihrer Probleme nicht genügend unterstützt. 8 Prozent fühlen sich "ja" und 23 Prozent "manchmal" unterstützt. Der "Rest" von 40 Prozent kann diese Frage nicht beantworten.

31 Prozent der Befragten sagen aus, "noch nie" eine Gemeindedienstleistung in Anspruch genommen zu haben. 20 Prozent hätten sie "einmal", 37 Prozent "ab und zu" und 3 Prozent "oft" genutzt (Männer mehr als Frauen, Ältere mehr als Jüngere, Zuwanderer mehr als andere). Über die Hälfte aller hätte sich demnach nie oder nur ein einziges Mal einer Gemeindedienstleistung bedient. Bei näherem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass einige Dienstleistungen gar nicht als solche wahrgenommen werden. Denn mehr als die Hälfte derer, die vermeintlich noch nie etwas beansprucht haben, geben an anderer Stelle an, Beratungsangebote zu nutzen oder/und bei Reisen dabei gewesen zu sein. Insgesamt fuhren knapp ein Drittel der Befragten schon ein oder mehrmals bei einer Gemeindereise mit – dies waren vor allem unter 30jährige (44 Prozent) und über 60-jährige, sowie GUS-Zuwanderer (37 Prozent). Hierbei dürfte es sich vor allem um Machanot, ZWST-Seniorenreisen und Integrationsseminare handeln.

Etwa ein Viertel der befragten Mitglieder würde im Alter in ein jüdisches Seniorenheim ziehen, knapp ein Drittel weiß es noch nicht, und ein weiteres Drittel knüpft eine "sehr gute Ausstattung" an diese Entscheidung. Es wollen deutlich weniger GUS-Zuwanderer als hier Geborene in ein jüdisches Heim (obwohl heute überwiegend Zuwanderer dort wohnen). Dafür ist die Ausstattungsfrage für die Zuwanderer weniger wichtig als für die Einheimischen.

37 Prozent der Befragten (überwiegend Einheimische) haben das bestehende jüdische Seniorenzentrum schon mal in Augenschein genommen. Von ihnen hat etwas über die Hälfte einen positiven Eindruck und die andere knappe Hälfte einen negativen. Am schlechtesten kommt das Seniorenzentrum bei den aus Drittländern Stammenden und bei Jüngeren weg. Den Älteren selbst gefällt es am besten.

11 Prozent der Befragten – vor allem junge Leute und Einheimische – meinen, dass die Gemeinde keine weiteren Beratungsangebote braucht. GUS-Zuwanderer verstehen die Gemeinde hingegen eher als Dienstleistungsbetrieb und haben meist mehrere Optionen angekreuzt. Insgesamt am häufigsten wird ein Ausbau der Sozial- und Rechtsberatung gewünscht (54 Prozent der GUS-Zuwanderer, 16 Prozent der Einheimischen), gefolgt von Berufs- und Arbeitsberatung sowie Renten- und Entschädigungsberatung (39 Prozent Zuwanderer, 15 Prozent Einheimische; die Drittländer liegen jeweils dazwischen). Angebote für Behinderte, Pflegebedürftige, Trauernde und deren Angehörige wollen 22 Prozent, 13 Prozent wünschen sich Kurse zur Erhöhung ihrer Arbeitsmarktchancen und 7 Prozent eine Suchtberatung. Außerdem wird angeregt: psychologische Beratung für Schoa-Opfer, Wohnungssuche für Neuberliner, allgemeine Seelsorge, Ansprechpartner bezüglich Antisemitismus, Studienberatung, Briefkasten für Vorschläge an die Gemeinde, Treffangebote für jüdische Schwule, Lesben etc.

Die größten Defizite empfinden ganz offensichtlich die GUS-Zuwanderer im gesamten Sozial-, Arbeits-, Rechts-, Renten- und Einkommensbereich, während die Sorgen der Einheimischen vor allem den Job betreffen. Einige Wünsche tangieren wiederum spezielle Minderheiten, die eventuell auch anderweitig bedient werden können. Eine Herz-Sport-Gruppe oder eine Diabetesberatung muss nicht zwingend jüdisch sein. Andere Dienste, zum Beispiel Beratungen für Depressivkranke sind nur von Spezialisten zu leisten. Manche der angeregten Angebote gibt es jedoch bereits – die Alija-Beratung, Deutschkurse, Sozialberatung, Jobbörse… Zu klären wäre, ob die Mitglieder nicht korrekt über sie informiert sind, nicht in der Lage sind, vorhandene Informationen einzuordnen, das jeweilige Angebot als quantitativ nicht ausreichend oder qualitativ nicht befriedigend empfinden oder ob eventuell auch mancher Wunsch ohne größeres Nachdenken aufgelistet wurde.

Dass diese Fragen wichtig sind, wird deutlich, wenn wir den Bekanntheits- und Nutzungsgrad der Einrichtungen betrachten. Die Teilnehmer sollten 16 verschiedene Dienstleistungsangebote bewerten. Die Pförtner/Telefonauskunft, die Steuerabteilung und die Sozialberatung sind die Einrichtungen, die am meisten gekannt und auch frequentiert werden (die Sozialabteilung von den Zuwanderern, die Steuerabteilung von den Einheimischen). Als am wenigsten bekannt und genutzt erwiesen sich die Stelle "Rund um’s Alter", die Selbsthilfegruppen und die Erziehungsberatung. Wenig genutzt werden außerdem das Integrationsbüro und der Ambulante Pflegedienst. Letzteres beispielsweise kennen überhaupt nur 12 Prozent der über 60jährigen. Insgesamt kann also sehr wohl ein Zusammenhang zwischen dem (niedrigen) Bekanntheits- und Nutzungsgrad und dem (lauten) Ruf nach Zusatzangeboten bestehen.

Ein Blick auf die Zufriedenheit der Mitglieder mit den Angeboten verstärkt den Eindruck. Mit den Pförtnern/Telefonauskünften sind 40 Prozent unzufrieden, 32 Prozent "mittelmäßig" und 28 Prozent zufrieden. Diese Auskünfte werden am häufigsten von hier Geborenen genutzt; sie monieren auch am häufigsten mangelnde Deutschkenntnisse bei den Mitarbeitern. Die meisten unzufriedenen Nutzer (überwiegend Zuwanderer) hat jedoch die Jobbörse (75 Prozent), gefolgt vom Integrationsbüro (59) und den Sprechstunden von RV- oder Vorstandsmitgliedern (52). Die meisten zufriedenen Nutzer wiederum gibt es bei Seminaren (43 Prozent), der Sozialberatung (40) sowie der Jugendabteilung (31). Wenn also Zusätzliches gefordert wird, kann es durchaus an der als mittelmäßig bis schlecht wahrgenommenen Qualität der bestehenden Angebote liegen, partiell aber auch an überhöhten Erwartungen der Nutzer.

Nach den persönlichen Wunscheinrichtungen befragt, wurden am meisten Erholungs- und Bildungsreisen sowie Treffmöglichkeiten aller Art für Erwachsene (vor allem für "Mittelalter") vermisst. An zweiter Stelle stehen Partnervermittlung, Freizeitprogramme für Ältere sowie "Patenschaften Jüngerer für Ältere und umgekehrt". Letztere wollen zwar viele Ältere und "Mittelalter", nicht aber die dazu notwendigen Partner, nämlich die Jungen (nur 3 Prozent) – ein typisches "Generationen-Ergebnis", das solche Ideen leider undurchführbar macht. Treffs, Patenschaften, Selbsthilfegruppen (d.h. mehr Eigenverantwortlichkeit und -initiative) vermissen überwiegend die im Inland oder in Drittländern Geborenen. Hilfe für Ältere, Angebote in der Muttersprache, Aktivierungsprogramme, Sport und Reisen sind überwiegend GUS-Zuwanderer-Wünsche.

In der Rubrik "Was ich schon immer sagen wollte" werden unter anderem die Gemeindeleitung oder einzelne Abteilungen "angeprangert": man helfe nicht bei der Arbeitsbeschaffung, viele Mitarbeiter (vor allem Angestellte am Telefon und Sozialabteilung) seien unfreundlich und arrogant ("man kommt sich immer als Bittsteller vor"), das Vorstandsbüro beantworte keine Briefe… Andere wünschen sich eine "grundsätzliche Diskussion über das Gemeindesteuersystem" oder dass die Gemeinde "ihre Pflicht" erkenne und dafür sorge, dass "alle Mitglieder ins Heilige Land fahren" können. Aus vielen Einträgen – vor allem älterer Mitglieder – spricht jedoch Einsamkeit und der Mangel an "menschlichen Kontakten". In diesem Zusammenhang werden Einzelpersonen für "ihre Wärme" gelobt, so die Familie Bairamow aus der Oranienburger Straße, die Bibliotheksangestellten im Gemeindehaus, die Kultusabteilung und einige ehrenamtliche Helfer.

Ehrenamtlich bereits tätig in der Gemeinde sind – nach eigenen Angaben – 19 Prozent der Befragten. 13 Prozent geben an, sich "eher nicht" und 7 Prozent sicher "nicht" ehrenamtlich engagieren zu wollen. 16 Prozent können "nicht sagen", ob sie ehrenamtlich arbeiten würden oder geben keine Antwort. 28 Prozent nennen Zeitmangel und 17 Prozent ihre Gesundheit als Hinderungsgründe für ein Ehrenamt. An fehlender Anerkennung muß das Desinteresse nicht unbedingt liegen, denn fast zwei Drittel können nach eigener Angabe nicht einmal beurteilen, ob ehrenamtliches Engagement in der Gemeinde ausreichend anerkannt wird (über ein Viertel aller meinen allerdings, es würde nicht genügend anerkannt). Passive Haltungen sind bei den GUS-Zuwandern am höchsten; am niedrigsten sind sie bei den Mitgliedern, die in "Drittländern" geboren wurden. Am Alter gemessen sind es die Jungen, die am wenigsten Engagement zeigen; je älter um so mehr (theoretische und praktische) Bereitschaft zum Volontarimus besteht.

Gemessen an den viele Mitgliedern, die von "der Gemeinde" mehr Einsatz erwarten, sind es recht wenige, die sich selbst engagieren. Noch fragwürdiger wird es, wenn Mitglieder, die es ablehnen, selbst ehrenamtlich tätig zu werden, an anderer Stelle ankreuzen, in der Gemeinde müsste es mehr ehrenamtliche Hilfe oder gegenseitige Patenschaften geben. Die diversen Fragen zu sozialen Themen und zur Eigenaktivität zusammengenommen, ist eine starke Konsumhaltung zu beobachten – engagieren sollen sich jeweils die anderen oder "die" Gemeinde.

Für weitere Details der Studie
kontaktieren Sie bitte:

Judith Kessler M.A.
jb@jg-berlin.org

hagalil.com 08-05-03

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